Das Gewicht von Papier

Ausstellung | exhibition 2023

 

Papier- und Druckereimuseum Steyrermühl
Museumsplatz 1
4662 Laakirchen

 

30. Juni – 14. August 2023

Veranstalter: Kunstfabrik 4.0
Elisabeth Mayr-Kern im Gespräch mit Maria Hanl und Roland Maurmair
 


 


 

Das Gewicht von Papier

 

Papier kennen wir als Träger von Information, aber auch als sinnliches, haptisches und wandelbares Material. Verändert ein Blatt Papier sein Gewicht, wenn es beschrieben wird? Welchen Einfluss hat dieses Gewicht der Worte und Bilder auf uns Menschen?
Sich wandelnde soziale Bedingungen und immer neue technische Utopien greifen auf unser Selbstverständnis ein und verändern die Auffassung vom Menschsein. Wie begegnen wir den Möglichkeiten und Herausforderungen in einer Gesellschaft, die sich gleichermaßen, wie die Natur in einem ständigen Transformationsprozess befindet?
Diese Fragen erörtern Maria Hanl und Roland Maurmair mit ihren jeweils individuellen Zugängen. Gemein ist beiden eine Prozesshaftigkeit in ihren Arbeiten und eine Reflexion über das Dasein in einem spätkapitalistischen, neoliberalen System.

 

Roland Maurmair nähert sich dem Thema Transformation auf eine experimentelle, wie auch auf seine humorvoll kritische Weise. Neben graphischen Arbeiten zum Thema zeigt Maurmair die Werkserie „Lexikon ruderalis“, in der er Lexikas als Fundament für ruderale Pflanzengesellschaften zweckentfremdet; diese Nachschlagewerke, die durch einen primär digitalen Informationsfluss antiquarisch und ungebraucht wirken, erfahren dadurch eine neue Bedeutung: Seine Pflanzen wurzeln in altem Wissen, das hier den Humus für das Wachstum einer neuen Flora bildet. Maurmairs Metapher eines biologischen Datenträgers zeigt die Notwendigkeit, dass wir über eine zukünftige Ökologisierung von Wissensarchiven nachdenken sollten.
In den Graphiken „Traun“ wird das Material Papier selbst zum poetischen Speicher von Informationen, die uns Menschen in unserer Hastigkeit oft verborgen bleiben. Der Fluss, der in seiner stetigen Bewegung Sedimente und Materialien mit sich führt ist voller Informationen. Roland Maurmair hängt über einen längeren Zeitraum Blätter in das Gewässer und lässt das Papier auf diese Weise vom vorbeiströmendem Wasser beschreiben. Es entstehen Texturen in einer Sprache, die wir zwar nicht entschlüsseln können, die uns aber dennoch einen Zugang eröffnen, auf welch vielseitige Arten sich Natur und Kultur verschränken kann.
Neben dem Wasser der Traun, spielt Maurmair auch mit dem Feuer: Seine Rauminstallation „Rising from the Ashes“ thematisiert die Ohnmacht der herrschenden Klasse einer Gesellschaft, der es nicht gelingt Wissen und Information durch Zensur unzugänglich zu machen. Im Zentrum der Arbeit befindet sich eine Feuerstelle mit verbrannten Büchern, aus der ein Schwarm Phönixe aufsteigt. Maurmairs Büchervögel präsentieren sich in einem jungfräulichen Weiß mit unbeschriebenen Blättern und schwingen wie neugeboren aus der Asche verbrannter Literatur empor.
Methoden der Zensur sind seit der Existenz von Büchern verbreitet und verfeinert worden, im schlimmsten Fall fielen sie den Flammen zum Opfer.1 In unser aller Erinnerung sind öffentlich inszenierte Bücherverbrennungen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Aber auch heute kommt es zu Bücherverbrennungen im analogen, bzw. zu anderen Formen der Zensur im digitalen Raum.2
In Roland Maurmairs Installation fliegen die Bücher wie Phönixe aus der Asche. Sein Statement zeigt, dass nicht alles der Zensur zum Opfer fällt, selbst wenn diese sich noch so sehr bemüht. Wissen hat immer auch ein Eigenleben, Bücher werden und wurden heimlich abgeschrieben, kopiert, gedruckt und weitergegeben. So formt sich trotz aller Tragik durch die dem Feuer trotzenden Bücherphönixe mit ihren wachen Augen ein hoffnungsvolles Bild.

 

(aus einem Text von Maria Hanl und Roland Maurmair)


1 Besonders zahlreich waren die Bücherverbrennungen der römisch-katholischen Kirche in Europa im 17. und 18. Jahrhundert. In Mexiko führte bereits 1561 die durch den Franziskanermönch Diego de Landa veranlasste Verbrennung aller auffindbaren Maya-Handschriften zu einer beispiellosen Vernichtung schriftlichen Kulturgutes. Heute sind nur zum Beispiel nur noch vier Maya-Codices weltweit erhalten. (Quelle: https://mediengeschichte.dnb.de/DBSMZBN/Content/DE/Zensur/06-buecherverbrennung-allgemein.html)

2 z.B. verbrannten Muslime 1989 in Bradford in Großbritannien auf einer Demonstration den Roman „Die satanischen Verse“ von Salman Rushdie und 2012 warfen US-Soldaten den „Koran“ auf einem US-Stützpunkt in Afghanistan ins Feuer. (Quelle: https://mediengeschichte.dnb.de/DBSMZBN/Content/DE/Zensur/06-buecherverbrennung-allgemein.html)



 

Die kleine Hexenverbrennung, Performance Video (4.54 min), HD, 2023



 


 

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